Film „Rote Beete“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Melodie & Rhythmus“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Himmlischer Frieden“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Schwarwels Welt

SEELENFRESSER-INTERVIEW MIT SCHWARWEL


Brigitte Helbling
SCHWARWEL INTERVIEW ZU SEELENFRESSER

DAS GESAMTE INTERVIEW HIER ALS PDF ZUM DOWNLOAD

Schweinevogel, animiert und als Comic, in Spiel und Gesang, stand in den letzten Jahren im Zentrum des Schaffens des Leipziger Comic-Künstlers Schwarwel. Nun verbannt sein neues Werk Seelenfresser die eigene Funnywelt in den Dekobereich.

In Seelenfresser sind Schwei-Schwei und Freunde Plüschtiere auf Betten oder Aufdrucke auf abgeschlagenen Kaffeebechern im Waldhütten-Heim des jungen „Hitch-Hike-Baby“ und ihres Lastwagenfahrer-Mannes Hardy. Ein ungleiches Paar: Offen bleibt (noch), wie die beiden zusammengefunden haben und was die junge Frau bei dem räudigen Kerl hält. Nicht viel, lässt der Einstieg vermuten, der Hardy beim Sex und Saufen mit einer Bardame zeigt, während sein „Baby“ ihn durchs Fenster beobachtet.

Auf Hunde ist in dieser Geschichte mehr Verlass als auf Menschen und der Wald bietet nicht nur Frau und Haustier, sondern auch einem ganzen Trupp seltsamer Pennern Zuflucht. Steinerne Relieffiguren künden von Werten, die den Menschen hier fremd scheinen, und im Gestrüpp liegt ein ei-artiges Objekt, das zum Schluss des ersten Bandes aufbricht um – man weiß nicht welches Wesen – in die Welt zu entlassen …

Die Idee zur Seelenfresser-Story, erzählt Schwarwel, begleite ihn schon seit Jahren, es dauerte dann, bis der richtige Anfang gefunden war. Oder Anfänge: Parallel zum vierbändigen Comic arbeitet Schwarwel an einem Filmdrehbuch zum Stoff. Online ist Band 1 „Liebe“ kontinuierlich auf comiccombo.de erschienen, pünktlich zur Leipziger Buchmesse 2011 liegt er nun auch als großformatiges, 84-seitiges Album vor.

Wir nutzen die Ruhepause vor dem Messerummel um Seelenfresser, um Schwarwel in 21 Fragen nach ganz konkreten Dingen zu befragen: nach Hunden und Religion, B52s und ob er jemals eine Frau sein wollte.

1. Welche Rolle spielen Hunde in deinem Leben?
Mein erster Hund war ein Rüde, den meine Eltern vor Misshandlung gerettet hatten. Er hieß Bella und war meine erste große Erfahrung in Sachen „Verantwortung gegenüber anderen Lebewesen“.
Natürlich bin ich gescheitert. Und ich hab viel gelernt. Als ich ihn im Garten begraben habe, hatte ich meinen ersten großen Verlust zu verarbeiten.
Unser jetziges Hunde-Familienmitglied Clooney konnte viel davon profitieren, dass ich die gröbsten Verfehlungen schon an Bella begangen hatte. Und ich glaube, Clooney war und ist für unsere Kinder genauso wichtig wie es Bella für meine Schwester und mich war. Mein Sohn musste sich seinen Platz weiter oben im Rudel hart erarbeiten.
Unser Studio ist auf Hunde ausgerichtet und wenn die Viecher vegan leben würden, wären es die idealen Typen.
Letztlich sind Hunde aber doch nur der vergebliche Traum des Menschen von der Beherrschbarkeit des Unbeherrschbaren. Herrlich. Der Wolf im Manne.

2. Und Lastwagen?
Keine.

3. Und Lastwagenfahrer?
Mein Quasi-Schwiegervater ist Trucker. Deshalb ist Hardy Trucker. Denn durch die Erzählungen meines Quasi-Schwiegervaters habe ich halbwegs Kenntnis vom Dasein eines Truckers in der heutigen Zeit.
Die modernen Legenden vom einsamen Trucker, der sich durch Wind und Wetter über die Landstraßen quält, um im Zeitplan zu bleiben, stimmen: Die Aufträge sind der reinste Hohn, die Fuhrunternehmer stehen wie viele andere mittelständische Unternehmen entweder halb im Ruin oder halb im Knast, die Entlohnung ist – wie in den meisten Tätigkeiten – vergleichsweise beschissen und das Risiko, das man dafür tragen muss (Übermüdung und Unfallgefahr, Transport gefährlicher Güter, Verzicht eines geregelten Soziallebens etc.), scheint dazu in einem ziemlichen Missverhältnis zu stehen.
Ideal für „Seelenfresser“!
Aber mein Quasi-Schwiegervater liebt seine Arbeit. Und ich kann das gut verstehen.

4. Warum heißt der erste Band „Liebe“?
Weil es in diesem Buch um Liebe geht: Um das, was wir darunter verstehen und das, womit wir Liebe verwechseln.

5. Wie werden die Folgebände heißen?
„Glaube“, „Hoffnung“ und „Barmherzigkeit“. Neben der Liebe sind das die drei weiteren Stützpfeiler, auf denen die katholische Kirche ihr Glaubensgebäude errichtet hat. Die Barmherzigkeit fällt im Volksmund erstaunlicherweise meistens unter den Tisch, dabei ist sie meines Erachtens die wichtigste dieser vier Tugenden, denn ohne sie können die anderen drei gar nicht praktiziert werden.

6. Wie bist du auf „Hitch-Hike-Baby“, die junge Frau im Mittelpunkt gekommen?
Oh, das wüsste ich selbst gern.
Am Anfang war diese Figur eine typische Protagonistin in einem typischen Horrorszenario: weiblich, um besser in die Opferrolle zu passen; jung, um weniger erfahren als ihr Umfeld zu sein; zart, um schwächer als ihre Gegner zu sein.
Doch irgendwie war mir das zu dünn und es schlichen sich biografische Schlieren in das Skript.
Als ich sechzehn war, fasste ich zusammen mit meinem Vater und einem Nachbarn einen Sexualtäter, der in unserem Wohngebiet ein Mädchen vergewaltigt hatte. Nachts, zwischen drei und vier. Als die Jagd vorbei war und die Polizei den Täter wegfuhr, stand das vergewaltigte Mädchen vor uns, nackt, ihre Klamotten über dem Arm, geisterhaft, wie von einem anderen Stern.
Das Bild habe ich ständig vor mir und es treibt mich um. Letztlich ist viel in die Geschichte gerutscht, das ich ursprünglich sehr gut vergraben glaubte.

7. Erfahre ich irgendwann, wo die junge Frau herkommt und wie sie in die Beziehung mit Hardy geraten ist?
Ja, sicher, irgendwie schon. Ich hasse Geschichten, die solche Fragen nicht beantworten.

8. Nach Jahren von „Schweinevogel“-Funnywelten und natürlich den täglichen Karikaturen jetzt der Wechsel zum Realismus. Wie kam es dazu?
Auf ganz natürliche Weise. Und so plötzlich ist der Wechsel ja nicht. Einzelarbeiten und Aufträge in realistischem Stil habe ich über die Jahre immer gemacht, bei unserem Verlag EEE auch einige Kurzgeschichten für „Extrem“ und die Miniserie „Reformer“. Für mich selbst ist es noch nicht mal ein Wechsel, sondern eher ein Einbinden eines weiteren Aspekts meiner Tätigkeiten in den Arbeits- und Alltag.
Klingt hochgestochen, ist aber so.
Jahrelang habe ich den Realismus sträflich vernachlässigen müssen, weil ich meinen Arbeitsalltag falsch gestaltet und die Prioritäten falsch gesetzt habe.
Als ich endlich klar erkannte, dass ich sterblich bin und dass diese Sterblichkeit keine Sache ist, die irgendwann erst passiert, sondern allgegenwärtig ist, habe ich mich hingesetzt und mich meiner Arbeitsdisziplin ergeben. Trocken werden hat da sehr geholfen.

9. Wie sieht deine „Recherche“ für ein solches Werk aus?
Stark gegliedert.
Durch die vielen Musikvideos, Trickfilme, Bücher und grafischen Auftragsarbeiten, die ich bisher gemacht habe, konnte ich lernen, was für so ein Projekt an Vorbereitung notwendig ist. Das ist sicher einer der Gründe, warum ich so lange brauchte, endlich mit der ersten Seite anzufangen. Und es ist der Grund, warum ich nicht wie sonst üblich „alles auf einmal“ mache – also erst alle Thumbnails und Layouts, dann alle Vorzeichnungen, dann alle Letterings, dann alle Reinzeichnungen usw. – sondern mich Seite für Seite durch die Geschichte arbeite und dabei nur grob die Abschnitte einteile. Sonst wird man wahnsinnig.
Im Bus auf dem Weg ins Studio habe ich stets Muse, mir die für den jeweiligen Abschnitt wichtigen Dinge der Story durch den Kopf gehen zu lassen – was muss zu sehen sein, wer ist im Bild, welche Stimmung muss da herrschen … Freunde wie Thomas Reichl oder Andy Fischer rennen für mich dann schon mal mit ihren Kameras los oder ich knipse selbst mit meinem Telefon ein paar stimmungsvolle Bäume mit Efeuranken dran …

10. Würdest du sagen, du kommst so langsam in ein Alter, wo du die „letzten Dinge“ angehen willst?
In dem Alter wähne ich mich schon länger als mein halbes Leben. Nur dass ich mich jetzt in dem Alter weiß, wo ich die Fähigkeiten und Fertigkeiten erlangt habe, die notwendig sind, um die letzten Dinge auch ausdrücken zu können. Handwerk eben.

11. Welche Bedeutung haben für dich Wälder?
Ich liebe Wälder und das, wofür sie in unserem gemeinschaftlichen Unterbewusstsein stehen: das Geheimnisvolle, das Wilde, das Unentdeckte. Und das Vergrabene, das vergessen Geglaubte, das Dunkle. Wald ist Schutz vor Regen und Wald ist Gefahr und Verlorenheit.
Wenn der Mensch weg ist, ist der Wald schnell wieder über die Städte gefegt. Und: Es gibt wieder echte Wölfe statt unserer gezähmten Surrogate.

12. Welche Bedeutung hat für dich die christliche Religion?
Es ist schwer, sich von ihr frei zu machen.
Als Kind der DDR habe ich im Heranwachsen geglaubt, atheistisch erzogen worden zu sein. Aber das stimmt nicht. Als Mitteleuropäer ist es gar nicht möglich, dem Christentum und den christlichen Religionen frei und unvoreingenommen zu begegnen. Sowohl die Hitlerdiktatur als auch die Diktatur des Proletariats haben zwar versucht, das Christentum durch ihre eigenen Gottheiten zu ersetzen, aber einer zweitausend Jahre gewachsenen Religionsorganisation macht man so schnell nix vor.
In der jetzigen Gesellschaft ist es der schnöde Konsum, der unseren Kumpel Jesus ersetzen soll. Aber das ist natürlich genauso wenig wert wie Deutschland-über-alles oder Marx-Engels-Lenin.
Die Idee der „Ahimsa“ der Hindus scheint mir noch immer die reinste Form der Menschlichkeit zu sein.

13. Im ersten Seelenfresser-Band wird einiges über Lyrics von Songs erzählt. Wenn du deine eigenen Comics zeichnest: erlebst du die Bildwelten, die du herstellen willst, als Musik?
Nö. Ich bin Voyeur, ich denke in Bildern. Allerdings mit Geräuscheffekten und untermalender Musik.

14. Wenn du Comics von anderen Zeichnern liest, hörst du die Bilder als Musik?
Nein. Dazu habe ich zu viel Abstand zu den Zeichnungen anderer. Da analysiere ich auch viel zu viel. Es ist schon ewig her, dass mich andere Zeichner geflasht haben wie dereinst Kirby, Wrightson, Mignola, Burns oder Bisley.
Die Geschichten haben mich meist mehr interessiert als das Versinken in einem einzelnen Bild – anders als bei Einzelgrafiken wie die von Beardsley oder Scarfe.
Andererseits habe ich bei vielen Geschichten einen Soundtrack im Kopf, der für mich dann gut zu dem Werk passen würde.

15. Bist du mit Seelenfresser Risiken eingegangen, die du bisher nicht eingegangen bist?
Risiko setzt voraus, dass man was zu verlieren hätte.
Für mich besteht die Herausforderung darin, dass ich eine für mich straighte und stimmige Story erzählen will, die nicht ganz so verblödet daher kommt wie die meisten Geschichten, an die man denken muss, wenn das Negativimage des Mediums „Comic“ zur Sprache kommt.
Das Medium kann mehr. Viele gute Hefte und Bücher zeigen das. Und da würde ich „Seelenfresser“ auch gern sehen.
Aber in Deutschland wird dieses nuttig-billige Schmuddelimage, was die GI-Joes mit den Befreier-Micky-Maus-Heften nach Kriegsende unbeabsichtigt eingeführt haben, wohl nicht der großen Einsicht weichen, bei Comics handele es sich tatsächlich um echte Literatur. Da hilft wohl auch kein Pulitzer-Preis für „Maus“ oder die doofe Abgrenzung einiger Verlage, die sich schnöselig hinstellen und sagen: „Das ist kein Comic – das ist ein g-r-a-f-i-s-c-h-e-r R-o-m-a-n!“
Bullshit.

16. Wie fühlt sich das an, parallel zum Comic-Machen das Drehbuch für den Film zu entwickeln?
Sehr befriedigend. Da wir im momentanen Stadium der Produktion volle Kontrolle über beide Projekte haben, können wir ad hoc Entscheidungen fällen und ich kann Änderungen vornehmen, ohne mich vor einem zwölfköpfigen Ausschuss dafür rechtfertigen zu müssen.
Andererseits muss man noch stärker auf der Hut sein, dass nicht die Pferde mit einem durchgehen und man sich im Fabulieren verliert. Wenn der Leser oder der Betrachter nicht mehr checkt, worum es geht, ist das nur noch Masturbation.
Da würde es auch nicht mehr helfen, die Geschichte einfach zur „Kunst“ zu verklären.

17. War die Doppelung von Anfang an geplant?
Jain. Es war ein Zickzack-Kurs.
Erst gab es eine Idee einer Idee, später einen Plot für eine etwa vierzig Seiten lange Geschichte, geradlinig und eher Horror-lastig, dann das Drehbuch für einen Trickfilm, für den wir keine Förderung erhielten und mit dem ich inzwischen sehr glücklich bin, weil es eine großartige Vorlage für die Graphic Novel abgibt.
Was das Drehbuch für den Film angeht: Zwar sind sich Film und Comic/Graphic Novel als sequentielle Erzählformen am nächsten, aber es ist eben doch nicht das gleiche. Der Rhythmus für Blätter, die man beim Lesen umblättert, ist ein anderer als der eines Filmes, wo der Betrachter dem Timing des Erzählers viel stärker ausgeliefert ist. Bei der Arbeit an den Comicseiten bin ich ständig dabei, mir aufzuschreiben wie dieselben Geschichten dann im Film funktionieren sollen.

18. Überlegst du dir je, den Beruf zu wechseln?
Nein.
Ich hab ja erst mal Jahre gebraucht zu begreifen, das Zeichnen mein Beruf ist.
Als ich mit Born Cool Mitte der Nuller Jahre ein zweites Mal Musik ernsthaft betrieben habe, war auch da völlig klar, dass Worte und Töne bei mir nie den Stellenwert von Bildern erreichen werden.

19. Wolltest du schon mal eine Frau sein?
Sexuell oder emotional?
Als Teenager war die Vorstellung sehr erregend, dass ich mir dann selbst die Brüste massieren kann – aber das war wohl eher hormonelle Übersteuerung.
Ich bin, was ich bin. Da halte ich es ganz mit Popeye.

20. Hast du schon mal eine B52 aus dem Busenritzen einer Bardame getrunken?
Ja. Wundert mich, dass du das überhaupt fragst.

21. Wann erscheint voraussichtlich der zweite Seelenfresser-Band?
Geplant ist er für spätestens März 2012 – dann hat man noch neun Monate Zeit, ihn zu lesen, bevor die Welt untergeht.

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