Film „Rote Beete“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Melodie & Rhythmus“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Himmlischer Frieden“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Schwarwels Welt

SCHWARWELS JAHRESENDBETRACHTUNG IN DER LEIPZIGER ZEITUNG: „WENN LEIPZIGER TRÄUMEN”


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Mehr Hass!
von Schwarwel

Ich hasse Jahresrückblicke. Und ich hasse Vorausschauen. Ich hasse „5 Wünsche für die Zukunft“-Rubriken und ich hasse diesen Wo-ich-uns-in-zehn-Jahren-sehe-Quatsch.

Ich hasse Bestandsaufnahmen, ich hasse Inventuren, ich hasse Supervisionen, ich hasse Selbstreflexion und natürlich hasse ich auch und vor allem das weinerliche Getue um Weihnachten rum, wenn die Leute plötzlich so rührselig und gefühlig werden. Alles strebt zu Freunden und Familie, jeder zieht eine Umarmung einem soliden Händedruck vor und ganz allgemein lässt man mal ein wenig Weichheit durchgehen, so vong Herzen her.

Was soll das? Sind hier alle bekloppt?

Das ganze Jahr über hatte jede/r jeden Tag Zeit und Gelegenheit, sich der Umwelt als halbwegs sozialverträgliches Wesen mit mehr oder minder gut angelernter Benimmse zu präsentieren. Ist in meinem Umfeld aber oftmals nicht passiert, obwohl ich mir mein Umfeld mit Arbeitnehmern, Auftraggebern, Kunden, Partnern und Tralala inzwischen schon ziemlich penibel zusammensortiere und auch gern mal ab 18 Uhr unsere Studiotür im Werk 2 zuschließe, um mein Habitat nicht mit zuviel Mensch zu kontaminieren. Portionierung mit Augenmaß ist wichtig. Ich könnte inzwischen ziemlich gut das Gemüse bei REWE am Connewitzer Kreuz verwalten – obwohl die das natürlich selbst verdammt gut hinbekommen.

In Erwartung des ersten liegenbleibenden Schnees setzt jedoch für ein paar Wochen plötzlich ein, was eigentlich normal sein könnte: Das Gemüt kühlt ab, alles wird irgendwie chillig und die Fehler der anderen wiegen nicht mehr ganz so schwer wie im September, als es noch um alles ging. Noch n Glühweinchen?

Was war denn im September anders? Hingen da die Trauben höher? Oder hatte man da noch nicht aufgegeben, von Unerreichbarem zu träumen? Wollte man da noch unbedingt die Sonne kitzeln und ist beim eiligen Aufstieg ganz aus Versehen oder – Gott bewahre! – willentlich anderen auf die Zehen getreten? (Respektive auf ihre Finger, falls ein paar der Anderen schon so schwach waren, dass sie sich nur noch am Boden kriechend weiterbewegen konnten, ihren eigenen Träumen nachjagend.) Mußte man da rücksichtsloser sein, weil dieser eigene Traum von Was-auch-immer greifbarer schien als jetzt, wo die Tage kürzer sind?

Früher habe ich Weihnachten, die Zeit der Besinnung und diesen ganzen Schmonzens aus tiefstem Herzen gehasst, mit jeder Faser meines Körpers, öffentlich ausgelebt und nervtötend anprangernd. Der Grinch auf Steroiden, angefüllt mit dem Zorn des Gerechten, da ich ja wusste, dass jeder hier sich wissentlich an einer Scharade beteiligte, die sich „Oh, du Fröhliche“ nennt . Und nächstes Jahr wird dann alles besser! V-e-r-s-p-r-o-c-h-e-n!

Irgendwann jedoch streckte mich anscheinend die Altersmilde nieder und irgendwie hab ich jetzt gerade eben für mich den Bogen raus: Was die anderen machen, ist ihr Ding. Geht mich nix an. Müssense selber wissen. Sollnse ma machen. Wird schon zu was gut sein.
Am Anfang war das nur eine Teilzeit-Erkenntnis, die – wie ich annehme – als reiner Schutzmechanismus gegen die mich allumfassend umgebende exzessive Jahresendtriefigkeit ansprang. Doch diese merkwürdige Gelassenheit begann sich immer weiter in mein Jahr einzugraben, sich zu verfestigen. Und jetzt ist sie da und lässt mich duldsamer sein – und irgendwie auch umgänglicher. Ab und an hüpft mir natürlich nach wie vor der Grinch aus dem Hals, aber ich gehe dann nicht allzu hart mit mir ins Gericht, denn so ein Grinch, das ist schließlich auch nur ein Mensch.

VÖ: Leipziger Zeitung 50/2017

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