Film „Rote Beete“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Melodie & Rhythmus“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Film „Himmlischer Frieden“ aus „1989 – Lieder unserer Heimat“

Schwarwels Welt

INTERVIEW MIT SCHWARWEL ZUM NEUEN BUCH „1989 – UNSERE HEIMAT, DAS SIND NICHT NUR DIE STÄDTE UND DÖRFER“


IMG_9177b

Nach einer sehr intensiven und arbeitsreichen „1989“-Trickfilm-Produktion habt ihr gleich im Anschluss eure Premiere auf dem 57. DOK Leipzig Festival und euren übervollen Empfang mit 240 Gästen im Zeitgeschichtlichen Forum gefeiert. Einen Tag später hatte euer Film TV-Premiere im MDR Fernsehen mit 90.000 Zuschauern und einem Marktanteil von stolzen 6,8 %, drei Tage später eine weitere Ausstrahlung. Das Presse-Feedback zu eurem Trickfilm ist ebenso großartig …
Wenn du jetzt, zwei, drei Wochen später, auf diese Zeit und die Ereignisse zurückblickst, wie sind deine Empfindungen und Erinnerungen?

Wenn ich Weihnachten am Kamin sitze, werde ich mir so eine wohlige Rückschau sicher mal leisten, momentan stecken wir allerdings voll in der Produktion des Buches zu ebendiesem Film, was wieder eine ziemliche Herausforderung ist, da es sich ja nicht um ein Märchenbuch handelt, sondern um historische Ereignisse, die wir pingelig genau recherchieren und trotzem lässig lesbar präsentieren wollen.
Aber so viel kann ich zum Trickfilm auf jeden Fall sagen: die Produktion war für mich ein ziemlicher harter Ritt durch tiefe Täler und über hohe Berge, echt aufreibend und emotional sehr fordernd. Da waren die anschließende DOK-Premiere, die TV-Premiere und vor allem unser Film-Empfang im ZFL mit den vielen bekannten und den vielen unbekannten Gesichtern und Menschen ein sehr wohliges Zuürckkommen im Hier und Jetzt.

Wie waren und sind die Reaktionen der Zuschauer und Gäste auf euren Trickfilm und Empfang?

Soweit ich weiß, sehr, sehr gut. Bisher war es immer so, dass indirekte Reaktionen auf unsere Trickfilme per SMS, Mail oder Telefon so ziemlich ausschließlich bei Sandra als Produzentin und „Person für die Außenwelt“ ankamen und diese Nachrichten dann eher in normal-wohlwollendem Stile gehalten waren, wenn ich nicht direkt bei einer Vorführung dabei war, um so auch mal ein promptes Feedback zu bekommen.
Bei „1989 – Unsere Heimat …“ war das anders und ich erhielt genau wie Sandra sehr persönliche und anrührende Mails, Anrufe, SMS und Facebook-Chats, von Menschen, bei denen ich das nie erwartet hätte. Eine solch persönliche Reaktion auf diesen Film war von mir zwar angestrebt und erhofft, aber wenns dann eintrifft, ist das doch noch mal ein anderer Schnack. Offensichtlich war es diesmal gut und richtig, sämtliche Kreativentscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen und nicht alles durch den Think Tank zu jagen.

1989-dvd-cvr-webshop480

Ist es für dich wichtig, mit deinen Filmen, Büchern und Workshops Emotionen in den Menschen hervorzurufen, dass sie sich selbst reflektieren, über alltägliche und persönliche wie weltpolitische Dinge nachdenken. Ist es dein Ziel, dass deine Werke dafür ein Anstupser sein können und sollen?

Ja.

Das Auseinandersetzen mit deiner eigenen Bio, deinem Lebenskreis und den verschiedenen Staatsformen, in denen du lebtest und lebst, das Wachrütteln vergrabener Erlebnisse und Empfindungen, das Aufarbeiten, Selbstreflexion … Was hat sich während der Arbeiten an eurem „1989“-Trickfilm für dich verändert? Hast du jetzt beispielsweise eine andere Sicht auf die DDR, die Macher und die Wendezeit?

Auf jeden Fall. Für mich ist durch das Schreiben am Drehbuch ganz glasklar geworden, dass die DDR dieser sogenannte „Unrechtsstaat“ war, der gerade so viel und gern diskutiert wird: Hat man Menschen erschossen, weil sie aus diesem Staat fliehen wollten? Ja. Hat man Menschen eingesperrt, weil sie anderer Meinung als die Staatsmacht waren? Ja. Waren Staat und Justiz so verflochten, dass die Justitz nicht nach freiem Recht, sondern nach Staatsdoktrin Recht sprach? Ja.
Was natürlich alles nicht heißen soll, dass dadurch alle anderen Staaten von diesem „Unrecht“ freigesprochen wären und total super sind – hierbei geht es mir nur um die DDR, in der ich 21 Jahre lang gelebt habe.
Es ist mit Sicherheit immer gut für einen Film, ein Buch, einen Comic oder sonst eine künstlerische Entäußerung, wenn man darin seine eigenen Erfahrungen verwurstet, statt über Sachen zu fantasieren, mit denen man sich nicht auskennt und die man deshalb auch nicht – ähem – „emotional ausfüllen“ kann. Authentizität finde ich dabei immer enorm wichtig – wenn ich davon nichts spüre, erlahmt mein Interesse an dem Stoff in aller Regel ziemlich schnell. Da nützen dann auch ”eine geile Grafik“, super Hauptdarsteller oder berauschende Bildwelten nichts.

Wie geht es jetzt mit eurem Film weiter? Was plant ihr als Verwertungen oder Anwendungen?

Zusammen mit dem Buch, das wir gerade machen, ist unser „1989“-Film ein herrliches Arbeitsmittel für Workshops an Schulen, Bildungseinrichtungen und öffentlichen Institutionen – dafür machen wir das eigentlich: Leuten Vorschläge unterbreiten, sich mit ihrem eigenen Leben zu befassen und mit dem, was um sie herum vorgeht.
Daneben haben wir natürlich schon damit begonnen, den „normalen“ Weg eines Kurzfilmes zu beschreiten, der üblicherweise darin besteht, Filmfestivals zu beschicken und weitere Fernsehauswertungen anzustreben. Da kann man immer nur sehen, was passiert … „Herr Alptraum“ lief bisher paarundfünzigmal auf Festivals und brachte uns ein paar erste und zweite Preise nach Hause, „1813 – Gott mit uns“ dagegen brachte es nur auf ein gutes Dutzend solcher Aufführungen, obwohl ich selbst ihn für den besseren, weit stärkeren Film halte und wir mit „1813“ irre Reaktionen bei Workshops und Aufführungen wie im asisi-Panometer im Oktober 2014 bekamen und bekommen.

1462606_919729511372494_5174918638498106460_o

Wie kommt es, dass ihr jetzt gleich auch noch ein „1989“-Buch produziert, das am 06. Dezember veröffentlicht wird?

Den Plan dazu gab es bereits, bevor das Drehbuch stand, weil es diesen Plan, ein schönes, weiterführendes Buch zum Film zu machen, bei uns immer gibt – manchmal klappts, manchmal nicht.
Diesmal hats geklappt. Und das ist großartig.
Vor allem hats hingehauen, weil die Sächsische Staatskanzlei mit der SAB 2014 ein Förderprogramm für solche Aufarbeitungsthemen zur „Friedlichen Revolution“ breitgestellt hat. Da muss zwar um jeden Groschen gekämpft werden, aber Bücher herstellen ist eine verdammt teure, weil aufwändige Angelegenheit mit relativ hohem Personaleinsatz. Ohne solche Förderprogramme könnte man solche Bücher nicht angehen, wenn man nicht gerade irgendwelche privaten Mäzene kennt, die gern mal was in jüngere Geschichte investieren wöllten …
Das Ziel dieses Buches ist es, auf eine unterhaltsame, schön bebilderte und halbwegs lockere Art jüngere Geschichte zu vermitteln, ohne zu langweilen. Bei unseren Workshops mit Schülern bzw. Kindern und Jugendlichen merken wir immer wieder die auch mir innewohnende Abscheu vor staubtrockenen Themen, die scheinbar immer nur in dicken Büchern mit viel kleinem Text, langen Zahlenkolonnen und entsetzlich wenig Bildern zu geben scheint. Damit will sich doch kein normaler Mensch befassen!
Durch unsere Trickfilme haben wir gemerkt, dass man komplizierte, schwermütige Sachverhalte schnell und klar mit ein paar bewegten Bildern erklären kann, ohne zu moralisieren oder vorab zu werten – so soll auch das Buch sein. Wir wollen was zum Hin- und Herblättern anbieten, womit der Leser Spaß hat und das sein Interesse wachhält oder im Idealfall sogar dafür sorgt, sich weiter mit den angesprochenen Themen zu befassen: Faschismus, Kalter Krieg, Mauern – alles Themen, die nach wie vor aktuell sind. Wenn sowas nicht unterhaltsam dargereicht wird, hat man gleich verloren.

1989-doppel-03inhalt

Wie gestaltet sich der Inhalt eines Buches zu solch einem Film, der vor allem durch die Erinnerungen der Protagonisten erzählt wird?

Nach ein bisschen Denkarbeit haben wir uns für eine halbwegs klassische Variante entschieden: Wie im Film werden auch im Buch die Ereignisse, die letztlich zum Mauerfall führen, chronologisch aufgedröselt. Mit möglichst wenig Gähn-Text und möglichst vielen Aha-Effekten, immer auch mit Blick auf Leipzig, wo sich ja die Welt der Film-Protagonisten befindet und immer mit persönlichen Anmerkungen, da der Film ja auch semi-biografisch aufgebaut ist.
Insgesamt ist der Ton des Buches optimistisch und nach vorn gerichtet, die Jetzt-Form der Texte macht die Ereignisse für den Leser echt nachvollziehbar, auch wenn da Sachen teilweise schon 70 Jahre her sind – für normal Sterbliche also irgendwo kurz nach der Bronzezeit und dem Mittelalter.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass man mit diesem Buch ein paar schöne Stunden verleben kann.

1989-doppel-06vorwort3

Wie sind die Aufmachung und Stilistik?

Was soll ich da jetzt sagen? Edel und charmant?
Wir haben uns erstmals für ein Hardcover entschieden, weil das gesamte Thema der „Friedlichen Revolution“ nichts ist, was man in einem Schlabberband präsentieren sollte. Dementsprechend ist auch der Inhalt optisch so gepimpt, wie es eben notwendig ist, um nicht zu schön zum Anfassen zu sein. Es soll ja ein Gebrauchsbuch sein, das mit Querverweisen dazu einlädt, die Zusammenhänge der einzelnen Themen wie „Sieg der Allierten über Nazideutschland“, „Kalter Krieg zwischen UdSSR und USA“ und „Ewige Freundschaft mit der ruhmreichen Sowjetunion“ für sich selbst herauszufinden. Ich selbst mag keine Bücher, die so umwerfend toll sind, dass man sie kaum anfassen mag – das widerspricht dem Zweck eines Buches. Ein Buch soll Eselsohren haben und Gebrauchsspuren aufweisen, da müssen Einkaufszettel als Lesezeichen drin sein und umgeknickte Ecken, um wichtige Stellen zu markieren. Meine Bücher sehen alle so aus. Meistens sind noch Unterstreichungen und Ausrufungszeichen drin. Deshalb wählten wir auch den „Almanach“-Untertitel. Wir wollten klar machen, dass das was zum Nachschlagen, zum Schmökern, zum Blättern ist.

1989-doppel-39film

Für welche Zielgruppe ist das Buch gedacht?

Neben den Menschen, die damals dabei waren und gern ihre Erinnerungen abgleichen wollen, möchten wir vor allem gern die Altersgruppen erreichen, die erst nach Mauerfall aufgewachsen sind oder geboren wurden. Diese Leute wachsen in einer Heimat auf, durch die immer noch eine unsichtbare Mauer aus schwerer Energie geht und sie wissen nicht so recht, warum das so ist. Wie erkläre ich denn meiner Enkeltochter, warum ihre Omi als Krankenschwester in Leipzig 30 – 40% weniger Lohn bekommt als eine Krankenschwester in Hamburg, obwohl sie die exakt gleichen Tätigkeiten mit exakt gelicher Verantwortung ausführt? Ohne Deutschlands Teilung und Wiedervereinigung und Kohls „blühende Landschaften“ ist so eine immer noch bestehende Ungleichheit nicht zu erklären.
Natürlich wird kein 16jähriger loslaufen und sich spontan entschließen, dieses Buch zu kaufen – das kann nur über die Umwege Trickfilm, Workshops und wohlwollende Schenker passieren …
Wenn unser Buch dazu beiträgt, ein paar Leute dazu zu bekommen, ihr Tun zu hinterfragen und zu gucken, wo sie denn jetzt hinwollen, nachdem sie wissen, wo wir alle schon mal waren, ist das ein klarer Erfolg.

Danke für das Interview.

Comments are closed.